Watch Out: 18.7.2023 by Werner Brandstetter
“Der Kampf der großen Mächte des 21. Jahrhunderts findet auf einem Schlachtfeld in der Größenordnung von Nanometern statt”, schreibt Andrea Rizzi in der spanischen Zeitung “El Pais”.
Mikrochips werden in allen elektronischen Geräten, vom Handy bis zum Supercomputer benötigt. Je komplexer die Rechenprozesse sind, desto hochwertiger müssen die Chips sein. Es geht darum, dass möglichst viele Transistoren auf einem Chip untergebracht werden.
Für die Herstellung werden seltene Metalle und Halbleiter benötigt. Diese sind nur in relativ wenigen Ländern vorhanden, wie zum Beispiel vor allem in China, in einigen afrikanischen Ländern, in Afghanistan, in Brasilien und einigen lateinamerikanischen Ländern. In Europa sucht man fieberhaft danach.
Des Weiteren bedarf es eines so raffinierten Knowhows, dass auch dieses – wie die Halbleiter – nur beschränkt zur Verfügung steht. Darüber hinaus ist ein höchst sophistizierter Herstellungsprozess mit empfindlichen High-Tech-Geräten erforderlich.
In der Herstellung von Mikrochips ist mengenmäßig eindeutig China in einer überragenden Position.
Zur Herstellung der potentesten Mikrochips ist bislang allerdings fast ausschließlich nur Taiwan (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company – TSMC) imstande. (An zweiter Stelle, aber weit abgeschlagen kommt Südkorea.) Die Technologie der Maschinen für die Herstellung stammt ursprünglich aus den Niederlanden. Diese hochwertigen Chips werden für die leistungsfähigsten Rechner, für die hochtechnologische Rüstungsindustrie sowie für künstliche Intelligenz benötigt.
Rund um den Globus versuchen die großen Mächte nun, ihr Potential der Chiproduktion auszubauen, um die bisherige Form der Globalisierung (Chips generell Quasimonopol China, Höchstleistungschips Quasimonopol Taiwan) aufzulösen. Die nationale Politik der Großmächte möchte eine Hand darauf legen, um die Abhängigkeit bei diesem Produkt von überragender strategischer Bedeutung zu mindern. Eine Diversifizierung der Herkunftsländer könnte sich abzeichnen, wobei es allerdings aus den obgenannten Gründen dabei deutliche Beschränkungen gibt und dies nicht im Handumdrehen zu bewerkstelligen sein wird. Nicht zuletzt auch durch die damit verbundenen exorbitanten Kosten.
Jedenfalls ergeben sich aus diesem Kalkül nicht zu übersehende Konsequenzen:
China setzt alles daran, den technologischen Abstand zu Taiwan aufzuholen. Die Technologie in der VR China hinkt allerdings viele Jahre hinterher. Der autoritäre Staatsapparat hat viele Möglichkeiten, die Kräfte auf die Aufholjagd zu konzentrieren, offen und wahrscheinlich auch verdeckt.
Es würde mich wundern, wenn die VR China nicht einen klaren Plan hätte, intellektuelles Potential von Taiwan und anderen Ländern abzuwerben bzw. anzukaufen.
Eine Überlegung, die sich aufdrängt, geht dahin, dass es für die VR China daher nicht nur aus nationalistischen und chauvinistischen Gründen von Vorteil wäre, die “abtrünnige Provinz” Taiwan zurückzuholen. Die Chipfrage erscheint daher die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs Chinas auf Taiwan zu erhöhen. Bei wachsender Dringlichkeit, wenn es das Monopol im Spitzenbereich erobern möchte, bevor der Abstand möglicherweise noch wächst.
Im Gegenzug muss die VR China wohl einkalkulieren, dass andere Mächte ein von ihr auf diese Weise angeeignetes Monopol der Spitzenchips nicht hinnehmen würden. Würden die USA oder Taiwan selbst im Ernstfall die taiwanesischen Chipfabriken lieber ausschalten als sie China zu überlassen?
Dieser Umstand bedeutet aber vor allem auch, dass die USA – abgesehen von den bekannten geopolitischen Erwägungen – ein vorrangiges geostrategisches Interesse daran haben, Taiwan vor einem chinesischen Angriff zu schützen bzw. im Ernstfall einzugreifen, um einen solchen abzuwehren. Somit sind die USA heute strategisch eng an Taiwan gebunden.
Die USA selbst haben 2022 den Chips and Science Act etabliert, der bis zu 52 Milliarden Dollar für die Errichtung von Chip-Fabriken und einschlägige Forschung bereitstellen soll. Ferner haben die USA einschneidende Beschränkungen beim Technologietransfer nach China beschlossen, um diese an der Überwindung ihres Technologierückstands bei den “high-end semiconductors” zu hindern. Die USA bemühen sich auch, die Prudktionsketten gemeinsam mit Japan und Südkorea effizienter zu gestalten.
Nunmehr hat allerdings die VR China mit Exportkontrollen bei seltenen Metallen, wie Gallium und Germanium, per 1. August 2023 reagiert, was naturgemäß eine Erschwernis für die Chipproduktion in den USA und anderen betroffenen Ländern darstellt.
Der republikanische Abgeordnete Marco Rubio, ein heftiger Kritiker dier Chinapolitik der Biden-Administration, hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass ein Programm der Förderung der Chipproduktion nicht ausreichen werde, wenn nicht ebenfalls die supply chain, also die Versorgung, d.h. Lieferquellen und Handelsrouten gesichert werden. Dies allein stellt die Geopolitik vor gewaltige Aufgaben.
Auch andere große Länder machen Schritte in Richtung Autarkie in diesem Sektor. So hat Japan (Quelle CNBC) ihre wichtigste Firma, ISR, in Bezug auf Chipproduktion, die in einem Teilsegment der Produktionskette die Position des weltweiten Marktführers einnimmt, der Kontrolle durch den japanischen Nationalfonds unterstellt. Damit soll jedweder Ausverkauf und ungewollter Technologietransfer hintangehalten werden.
Auch Indien unternimmt Bemühungen, seine Chipproduktion umfänglich und technologisch voranzutreiben. Dabei wurde allerdings kürzlich ein Rückschlag verzeichnet, indem ein geplanter Deal, gemeinsam mit einer japanischen Firma ein Mikrochip-Werk zu bauen, fehlgeschlagen ist. Allerdings haben beide Seiten ihren Willen zur Zusammenarbeit bekundet.
Die EU ihrerseits hat 2023 ein Programm zur Förderung der Chipproduktion in Europa in der Höhe von 43 Milliarden Euro beschlossen, mit dem sie eine Erhöhung des Marktanteils bis 2030 auf 20 % anstrebt. Dies erscheint im Hinblick auf die Komplexität des Vorhabens ein hochgestecktes Ziel zu sein.
Eben diese Komplexität dürfte – und dies läge im Interesse aller Mächte, auch der kleineren – dazu beitragen, dass eine vollständige Nationalisierung der high-end Chip-Produktion von keinem Land erreicht werden wird, sondern dass es eine effektive Zusammenarbeit verschiedener Nationen im Zuge der Produktionsketten geben wird müssen.
Darin liegt wohl eine gewisse Hoffnung, dass der Chip-Wettlauf trotz aller geostrategischen Gefahrenmomente friedlich verlaufen wird und alle an der rasanten technologischen Entwicklung in gewisser Weise teilhaben können. Dies bedeutet auch wirtschaftliche Möglichkeiten für kleinere Länder und ihre high-tech- Betriebe sich einzuklinken.