
19.9.2023
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch auf andere Regionen fühlbare Auswirkungen. Auch die Kaukasusregion ist betroffen.
Der seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhägigwerdung Armeniens und Aserbaidschans schwelende Konflikt um die armenische Enklave in Aserbaidschan, Bergkarabach, ist wieder ausgebrochen.
Bei den Waffengängen der 90iger Jahre hatte Armenien die Oberhand und konnte so einen Korridor nach Bergkarabach und damit dessen Versorgung sichern. Zuletzt allerdings war Aserbeidschan militärisch im Vorteil und eroberte diesen Korridor zurück. Seither sind die Spannungen wieder deutlich spürbar.
Während diese Zeilen geschrieben werden, tobt eine neuerliche Auseinandersetzung, bei der Aserbaidschan nach armenischen Angaben Bergkarabach mit Artillerie beschießt und sich dabei auf Antiterrormaßnahmen beruft.
Der Einsatz in diesem Spiel ist für die ganze Region hoch. In den vergangenen Jahrzehnten gebärdete Russland sich als Protektor Armeniens mit der Stationierung russischer “Friedenstruppen”, vor allem in und um die armenische Stadt Gyumri, sowie durch Waffenlieferungen (zum Teil gratis) an Armenien. Gleichzeitig verkaufte Russland dem ölreichen Aserbaidschan seine Waffen gegen teures Geld. Dennoch konnte man dies als eine gewisse Schaukelpolitik Russlands betrachten, die unter dem Strich für eine Art Balance sorgte und einen Deckel auf die Gefahr eines größeren Krieges legte.
Heute ist Russland geschwächt durch den Ukraniekrieg, die Anspannung seiner militärischen Ressourcen und seine schwächelnde Wirtschaft. Es kann diese Funktion nicht mehr ernsthaft wahrnehmen. Armenien sieht Russland nicht mehr als Protektor an und sucht eine stärkere Anbindung an den Westen. Aserbaidschan nutzt die Schwäche des Beschützers von Armenien offenbar für eine neue Offensive.
Die USA und Europa haben sich traditionell bemüht, auf Frieden hinzuwirken. Derartige Bemühungen sind zweifelsohne auch derzeit im Gange. Wird es gelingen? Das ist nicht auszuschließen, zumal auch Aserbeidschan verstärkt für seine flüssigen und gasförmigen Bodenschätze Anschluß nach Europa sucht. Oder könnte der Westen im Ernstfall die Schutzmachtfunktion für Armenien übernehmen? Eher unwahrscheinlich.
Ein unruhiger und immer auf Destabilisierung ausgerichteter Nachbar sowohl Aserbaidschans als auch Armeniens ist Iran. Iran hat ein Interesse, dass der Verbindungskorridor zwischen Armenien und Bergkarabach bestehen bliebe, weil dessen Wegfall Aserbeidschan stärkt und der iranische Handel mit Armenien in unmittelbarer Nähe dieser umstrittenen Region verläuft.
Zwischen Aserbaidschan und Iran hingegen hängt der Haussegen traditionell ziemlich schief. Gebietsansprüche und vor allem die große und unruhige aserbaidschanische Minderheit im Iran sorgen für Irritationen. Letztere könnte zur weiteren Instabilität des brutalen Mullahregimes beitragen, das sich mit drakonischen Maßnahmen an der Macht hält und wirtschaftlich vor dem Abgrund steht. An Konfliktstoff fehlte es nicht, falls ein weiterer größerer Waffengang zwischen Aserbeidschan und Armenien ausbrechen sollte.
Bleibt noch Georgien. Dort ging durch den russischen Angriff im Jahre 2008 ein neuer Eiserner Verhang mitten durch das Land nur wenige Kilometer von der Hauptstadt Tbilisi entfernt nieder. Dieser ist noch undurchdringlicher als es der Eiserne Vorhang in Europa war. Zwei Provinzen, Südossetien und und Abchasien, wurden abtrünnig und von Russland besetzt. Das einzige Land, das die beiden als unabhängig anerkannt hat, ist Russland selbst. Daher gibt es diplomatische Vertretungen dieser “Länder” in Russland UND im selbst (von der Republik Moldau) abtrünnigen Transnistrien.
Das russische Außenministerium und verschiedene russische Medien wiederholen immer wieder, dass Südossetien und Abchasien in Wirklichkeit als Teile Russlands eingegliedert werden wollen. In Anbetracht dieser komplexen jüngeren Geschichte war Georgien seit 2008 weitgehend antirussisch und prowestlich eingestellt. Interessanterweise steht die derzeitige Führung Georgiens unter starkem russischen Einfluß, sodass sich diese Haltung zuletzt zu drehen schien. Nicht so bei der Opposition.
Für Spannung bleibt gesorgt.